Das Projekt K589: Die Zweiventil-K100

 

Der Plan

 

Auf dem Tiefpunkt der Motorradzulassungen 1979 stellte man sich in München die Frage, ob die Motorradproduktion überhaupt weitergeführt werden sollte. Auf Initiative von Dr. Sarfert, dem früheren Vorsitzenden der Geschäftsleitung, entschied man sich für das Motorrad. Man wusste aber, dass allein mit der derzeitigen Modellpallette der wirtschaftliche Erfolg dahinschwinden würde und plante daher insgesamt vier Jahre lang den radikalsten Neubeginn, den BMW innerhalb seiner Motorradproduktion je erlebte: das Projekt K589.

Pate hierfür stand ein kurioser Versuchsträger, den der BMW-Ingenieur Josef Fritzenwenger 1977 baute: In einen Prototyprahmen wurde der PKW- Motor eines Peugeot 104 längs liegend eingebaut. Dieses Modell bot sich an, da der wassergekühlte Vierzylindermotor bereits im PKW annähernd liegend eingebaut wurde. Der Motor wurde zu Fahrversuchen provisorisch an ein BMW-Getriebe angeflanscht. Leider existiert kein Foto mehr von diesem Prototyp; das Motorrad wurde nach den positiven Versuchen vernichtet und die Planung eines eigenen Reihenmotors begonnen. Die Vorgabe, einen hubraumstarken Vierzylinder mit bis zu 1300 ccm für den Einsatz in Motorrad und PKW zu entwickeln, ließen das Projekt K4, wie man es nannte, jedoch zunächst einschlafen: die großen Zylinderbohrungen hätten den Motor für die geplante Einbaulage schlicht zu lang werden lassen.

 

 

der K3-Prototyp von 1979. Der Motor hatte vieles mit den PKW-Motoren der frühen siebziger Jahren gemeinsam.

Interessanterweise wurde zunächst die Einbaulage mit nach rechts zeigendem Zylinderkopf getestet, also spiegelverkehrt zur später gewählten Position.

 

Parallel dazu wurde ein Dreizylinder (Typ K3) mit 1000 ccm konstruiert, aber auch dieses Modell fand bei BMW keine Zustimmung. Interessanterweise hatte beide Prototypen, K4 wie K3, nur eine obenliegende Nockenwelle und Schlepphebel zur Ventilbetätigung -analog zu den damaligen BMW PKW-Motoren. Bei motorradüblichen Drehzahlen hätte es vermutlich bald Probleme mit der Ventilsteuerung gegeben; das Ventilspiel der Boxermodelle musste schon relativ häufig nachgestellt werden.

Diese Motoren waren nach rechts gekippt eingebaut -dies schaffte zusätzliche Probleme, denn damit hätten Auspuff und Kardan auf der selben Motorradseite verlegt werden müssen !

 

Die Entscheidung

 

 

alles schon mal dagewesen...die Ariel aus den frühen sechziger Jahren nahm einige Details der K-Serie vorweg. Zumindest im Prototypenstadium, denn in Serie wurde das Motorrad nie geferti gt. Zu groß waren die Probleme, die sich durch die ungewöhnliche Einbaulage des Motors ergaben.

 

1979 wurde jedoch beschlossen, das Projekt mit veränderten Vorgaben Wirklichkeit werden zu lassen: Hubraum maximal 1000ccm, 90 PS / 66 kW, gleichmäßiger Drehmomentverlauf. Dieses Konzept wurde am 1. Februar 1979 als “BMW Compact Drive System” beim deutschen Patentamt in München zur Anmeldung vorgelegt. Dieses wiederum bestätigte das Patent 1981 unter der Nummer DE 29 03 742. Obwohl: Die britische Firma Ariel hatte in den frühen 60er Jahren ein verblüffend ähnliches Konzept ausprobiert. Ein längsliegender 700ccm- Vierzylinder (luftgekühlt), der Kardan rechts, 4 in 1-Auspuff links...nun, zumindest verfolgte man in England das Projekt wegen gravierender Probleme nicht weiter -ganz im Gegensatz zu BMW, wo nach der Genehmigung durch den Vorstand eine mehr als vierjährige Entwicklungszeit begann.

 

 

Dazu der Konstrukteur Josef Fritzenwenger:

 

Der längsliegende Vierzylindermotor verbindet die Vorteile des Reihenmotors mit einigen guten Seiten des Boxers. Er hat einen tiefen Schwerpunkt, schließt sich ohne Umlenkung an den für BMW (damals!, Anm. von M.Riehl) unverzichtbaren Kardanantrieb an und ist durch seine gute Zugänglichkeit besonders servicefreundlich. Außerdem ist es beim Vierzylindermotor leichter, hohe Leistungswerte zu erreichen. Er ist relativ preiswert zu bauen, Abgasbestimmungen sind leichter einzuhalten, Geräuschgesetze sind kein Problem, und er ist so stabil, dass er als tragendes Teil zu verwenden ist.

 

Technikdetails

 

Das Motorrad weist als Technologieträger jedoch noch eine Vielzahl bemerkenswerter Details auf, die zunächst nichts mit der Motorkonstruktion zu tun haben. Zur Gemischaufbereitung wird eine Bosch LE -Jetronic eingesetzt. Die Elektronik nimmt eine zentrale Funktion ein; Zündung und Gemischbildung arbeiten Hand in Hand. Zudem überwacht die Elektronik wichtige Funktionen, z.B. die Beleuchtung. Der Kabelbaum weist mehr als doppelt so viele Leitungen auf wie bei den Boxermodellen. BMW-typisch ist die große Batterie von 20 oder, auf Wunsch, 30 Ah. Dadurch wird Zubehör wie Heizgriffe, Steckdosen oder Warnblinkanlage problemlos kombinierbar. Steckverbinder, Relais und Sicherungen sind völlig geschützt untergebracht. Das Gleiche gilt für die Steuergeräte. Die Zündung ist wartungsfrei.

 

Die Auspuffanlage (ein Teil, das wegen seiner Form und Größe für Diskussionen sorgt) ist komplett aus rostfreiem Edelstahl, der Tank aus Aluminium. Für die Ständerlagerung ist ein Lagerbock unter dem Getriebe verschraubt, es gibt keine ausgeschlagenen Lagerbohrungen am Rahmen !

 

Die hintere Einarmschwinge nimmt Kardan und Bremsanlage auf; ein Hinterradausbau mit vier Schrauben innerhalb weniger Minuten ist die erfreuliche Folge. Schwinge, Getriebe und Motor können (müssen aber nicht) am Stück ausgebaut werden. Mir ist kein zweites Motorrad bekannt, das derart servicefreundlich konstruiert wurd

 

Für das Design zeichnete das Team um Karl Heinz Abe, Klaus-Volker Gevert und Claus Luthe verantwortlich. Karl Heinz Abe war speziell für das K100-Design zuständig, das ebenso wie die Technik über einen Zeitraum von vier Jahren heranreifte.

 

Fertigung

 

Vor Serienanlauf wurden mehr als 650.000 Testkilometer auf Prototypen zurückgelegt. Über 100 Entwicklungs- und Versuchsmitarbeiter betreuten das Projekt. Für die Herstellung (nicht nur) der K100 beschloss man den Bau des modernsten Motorradwerks Europas, das mit einem Aufwand von 300 Mio. DM aus dem 1928 als “BRAMO-Werk” errichteten Gebäude in Berlin-Spandau entstand. Seit Produktionsanlauf der K 100 1983 werden hier K- und Boxermodelle auf der gleichen Fertigungsstraße hergestellt, wobei im Fall der K 100 zuerst der “Compact Drive”, also Motor-Getriebe-Schwinge, zusammengebaut werden.

 

Probelauf einer K100 auf dem Prüfstand

Endmontage der Motorräder.

 

Später wird der Rahmen von oben aufgesetzt. Übrigens wird die K 100 auch auf diese Weise zerlegt, falls der Motor doch einmal heraus muss: der Motor bleibt an der Schwinge; der Rahmen wird mit Gabel und Vorderrad einfach nach vorne weggerollt. Jede K 100 wurde im Werk noch auf dem Prüfstand mit bis zu 140 km/h probegefahren, bevor sie ausgeliefert wurde.

 

Das Produkt

 

Drei Varianten wurden anfangs gebaut: K 100, K 100 RS und K 100 RT. Dies entspricht der Boxertradition. 1986 kam als Luxustourer die K100 LT hinzu, die 1989 das RT-Modell ganz ablöste und zusätzlich zum RT-Paket über Radiovorbereitung, Komfortsitzbank und Topcase verfügte. Neben der “nackten” K 100 (die heute als “Naked Bike” gefragter wäre als damals !) und der K 100 RT wurde besonders die K 100 RS gelobt und gekauft. Verantwortlich hierfür ist die Verkleidung, die als gleichermaßen schön und praktisch empfunden wurde. Schön, weil viele sich am Design der nackten “K” störten. Praktisch, weil die RS-Verkleidung im Windkanal ausgiebig getestet wurde. Daraus resultiert ein guter Wetterschutz, weil selbst die Hände des Fahrers durch die Spiegel geschützt werden und der kleine Spoiler bei hohem Tempo wirkungsvoll den Wind abhält. Am erstaunlichsten ist sicher die Tatsache, dass die RS mit “nur” 66 kW 221 km/h erreicht und selbst mit sitzendem Fahrer nicht viel langsamer (215 km/h) läuft -auch ein Verdienst des mit 0,429 (sitzend) sensationell niedrigen cw x F-Wertes. Interessant hierbei ist, dass auch Zubehör wie Koffer mitgetestet wurde, so dass montierte Koffer die Höchstgeschwindigkeit noch erhöhen, ohne zu Pendelneigung zu führen. Die K 100 Basis bräuchte rechnerisch 83 kW, um die Höchstgeschwindigkeit der RS zu erreichen, oder andersherum: bei Tempo 200 braucht die RS drei Liter weniger Benzin und 20 PS weniger als die Basisversion ! Technisch unterscheiden sich die drei Modelle nur durch die etwas längere Übersetzung der RS; diese konnte für K 100 Basis und RT jedoch als Sonderausstattung geordert werden. Der Verbrauch beträgt nur 5-7 Liter auf 100 km.

 

 

Die Öffentlichkeit reagiert begeistert auf den Vierzylinder: endlich mal wieder ein deutsches Motorrad, das sich nicht nur Tradition, sondern auch Fortschritt auf die Fahnen schreibt ! Diese neue BMW ist endlich eine ernstzunehmende Konkurrenz für die Japaner, und so geht die K 100 Basis, RT und RS aus so manchem Vergleichstest als Sieger hervor. MOTORRAD fragt gar in Heft 24/1983 ganz unbescheiden “K 100 RS - Das beste Motorrad der Welt ?”. Nun, manch einer stimmte zu: als einziges Motorrad überhaupt wurde die K 100 RS fünf Jahre in Folge zum “Motorrad des Jahres” gewählt -und wurde dann durch die K1 als “Motorrad des Jahres 89” abgelöst !. Dazu kommen Titel wie “Bike of the year” (“Cycle News”), “Motorrad der Vernunft” (Zeitschrift “PS”) oder “Bike des Jahres” (“motorrad, reisen und sport”). Von den Zeitschriften schließlich stammt auch die Bezeichnung “The flying brick”, der fliegende Ziegelstein. Gemeint ist die Motorform, weniger nett auch als “Toaster” tituliert...

 

Wie fährt sich nun eine K 100 RS?

 

Beginnen wir beim Start. Kalt wie warm springt sie nach wenigen Anlasserumdrehungen an. Der “Choke”-Hebel erhöht nur etwas die Drehzahl, denn natürlich kümmert sich die Einspritzanlage um das Gemisch. Die Leerlaufdrehzahl bleibt ohne Kaltstartanhebung stets bei 1000 U/min. Der erste Gang rastet absolut geräuschlos ein -warum verwenden andere Hersteller nur immer noch Nasskupplungen ? Das Getriebe hat etwas lange Wege, schaltet sich aber ansonsten hervorragend. Schnell erreicht man den fünften Gang. Der sagenhafte Durchzug beginnt bereits bei 35 km/h, das sind 1300 U/min. Bei 3000 U/min zeigt der Tacho 80 km/h. Leider beginnt der Motor schon kurz darüber zu vibrieren, der Bereich von 90-120 km/h vibriert merklich. Wer Wert auf vibrationsfreien Lauf legt, wird mit einer K 100 leider nicht glücklich.

Bei niedrigem Tempo reagiert die Bereifung (bei mir: Metzeler ME 33/ME 99) auf Längsrillen. Dafür liegt die RS bei Autobahnfahrt ausgesprochen satt auf der Strasse. Hier zeigt sich auch der große Vorzug der Verkleidung. Lange Strecken lassen sich ermüdungsfrei fahren. Den liegenden Fahrer “saugt” die Verkleidung in sich hinein, der sitzende bekommt Fahrtwind ab, aber eben nicht in Orkanstärke, sondern als Wind ! Die RS-Verkleidung ist für Verkleidungshasser wie mich perfekt: Je nach Lust und Wetter wird der Fahrtwind “regulierbar”. Die Wasserkühlung entlässt Abwärme in Richtung Tank und Lenker, ob dies als Vor- oder Nachteil empfunden wird, ist eine Wetterfrage.

 

BMW versteht es, Zubehör anzubieten, das sich perfekt integriert. Als Beispiel wären die Koffer nebst Halterungen zu nennen. Hier werden keine Blinker zur Montage versetzt; keine Lochblechstreifen künden von “Universal-Montagekits”, und die Koffer sehen nicht nach “abstehenden Ohren” aus. Positiv fiel mir auch auf, dass der Händler auch nach 17 Jahren noch einen Nachrüstkit für Warnblinker bereithält. Die Stecker hierfür sind bereits vorhanden. Nur der Schalter mit Kabelsatz muss noch eingesteckt werden.

 

Sicherlich das beste Argument für dieses Modell ist jedoch die Haltbarkeit. Die K 100 war das erste Modell, das bei den Zeitschriften MO und MOTORRAD den 100.000 km-Dauertest absolvierte- mit wenigen Reparaturen. Die hatte auch Winfried Adam, dessen Basis-K 100 in MOTORRAD 12/1998 nach über 409.000 km gebührend gewürdigt wurde. Inzwischen ist das Motorrad mit überholtem Antrieb für ihre neue Besitzerin Bärbel Hilgemann wieder unterwegs (siehe Bericht zum Flyingbrick-Treffen 2002). Üblich sind sechsstellige Kilometerleistungen allemal, lediglich die Kupplung sowie (bei den ersten Modellen) der Zwischentrieb zwischen Kurbelwelle und Kupplung verschleißen “schon” nach 80-100.000 km.