Hallo aus Lemgo,
ich weiß nicht in wie weit das Thema Gabel, Gabelfeder linear oder progressiv, Federrate, Dämpfung von Zug und Druckstufe, Gabelventil,
Ölviskosität, Luftpolster, Negativfederweg etc. hier schon einmal beleuchtet wurde bzw. überhaupt von Interesse ist.
Ich habe mich in Honda-Foren mit der Thematik befasst. Der Grund:
Da wir beide eher Leichtgewichte sind und die Gabel unserer Honda bei Schlaglöchern etc. zu unsensibel anspricht und der Negativfederweg auch
etwas zu groß ist wollte ich der Sache auf den Grund gehen. (Der Gesamtfederweg beträgt hier nur 120mm und ist durch schlechte Auslegung und
den zu großen Negativfederweg schnell aufgebraucht) Leider ist die Sache nicht ganz einfach und es gibt keine Universallösung!
Die erste Frage war, was ist denn überhaupt für eine Feder verbaut?
Es ist eine progressiv gewickelte Feder. Und da ging es schon los. Was ich unter „progressiv“ zu verstehen habe war klar, aber wie arbeitet eine
progressive zylindrische Gabelfeder? Normalerweise sollte man meinen bei einer progressiven Feder steigt die Federrate in N/mm, eingezeichnet in
ein Diagramm, progressiv an, also beschreibt eine Kurve. Dem ist aber nicht so.
Einfach
gesagt besteht die „progressive“ Gabelfeder aus einem enger
gewickelten, weicheren Teil mit niedrigerer Federrate (in N/mm)
und einem weiter gewickelten, härteren Teil mit höherer Federrate (in N/mm).
Beim Einfedern haben wir erst eine linear arbeitende Feder deren Federrate aus den Federraten des weichen und des härteren Teils besteht, quasi
eine Mischkonstante. Federt die Feder jetzt weiter ein fahren die Windungen des weicheren, enger gewickelten Teils auf Block. Das bedeutet die
Windungen können nicht mehr federn da sie aufeinander liegen, sie sind starr. Jetzt federt nur noch der härtere, weiter gewickelte Federteil.
So arbeitet die „progressive“ Feder eines Motorrades.
Übrigens sagt der Federexperte Wilbers über genau diese in unserer Honda verbauten Gabelfeder folgendes:
"Original
besitzt die Gabel progressive Federn, wobei die erste Federrate zu
gering ist und dadurch auch relativ schnell in die zweite,
deutlich zu harte Federrate wechselt." Genau das kann ich bestätigen. Der Negativfederweg des zu weichen Teils ist zu schnell aufgebraucht und der
harte Teil lässt einen Schlaglöcher etc. fast ungefiltert spüren. Leider haben die an sich guten Reifen Brigdgestone BT023 auch keine so gute
Eigendämpfung was das ganze noch verstärkt. Also musste eine Lösung her!
Weiter geht’s: Zum Verständnis hier ein paar Fotos, Grafiken
1 Lineare und progressive Feder.jpg
3 Diagramm Erklärung progressiv-linear.jpg
Hier zu allgemeinen Erheiterung einmal zwei Diagramme eines deutschen Federherstellers für Motorradfedern wo die Federkennlinien von
linearen und progressiven Federn eingezeichnet sind. Die rechte Kennlinie die ich als echt progressive Kurve ansehe hat mit der Realität
nicht das geringste zu tun (siehe oben). Hier wurde die Realität, sagen wir einmal, zurechtgebogen! Das verkauft sich dann wohl besser?!
Zwei Geraden mit Knick sind halt nicht so schön, oder?
Und weiter geht's
Jetzt
weiß ich zwar was ich für eine Feder habe und wie sie arbeitet aber
die genauen Federraten für den weichen sowie den
harten Teil sowie den Umschaltpunkt kenne ich noch nicht.
(Da Drittanbieter wie Wilbers, Wirth u. a. ihre Federdaten wie ein Geheimnis hüten muss man diese selbst in Erfahrung bringen. Wenn die Daten
zur Verfügung ständen könnte man wenigstens vorab vergleichen! Ein Schelm wer Böses dabei denkt! Ich ahne warum das so gehandhabt wird
aber möchte mich besser nicht dazu äußern.)
Und jetzt kommt etwas ganz geniales ins Spiel:
Ein Federrechner bzw. eine Exceltabelle zur Berechnung der Federraten.
Dafür bedanke ich mich noch einmal bei „Rainer“. Wenn ich hier meine Federdaten eingebe, die ich allein mit Hilfe von Bandmaß und
Messschieber ermitteln kann spuckt dieser mir beide Federraten sowie den „Umschaltpunkt“ aus!
(Ich wollte mir so etwas schon selber basteln was natürlich einige Zeit in Anspruch genommen hätte aber Rainer hat mir die Arbeit abgenommen.)
Im folgenden habe ich die Daten meiner Honda Feder in den Rechner eingegeben. (Die Daten hat mir ein Forenmitglied zur Verfügung gestellt, danke.
Hatte meine noch nicht ausgebaut.)
WICHTIG: Zwei Werte müssen möglichst genau gemessen werden:
1: e = Windungsabstand eng - 2: d = Drahtdurchmesser! Eine Abweichung beim Drahtdurchmesser von 0,1mm
ergibt eine Abweichung der Federrate von 10% !! Hierfür unbedingt einen genauen Messschieber benutzen!!
Folgendes ist noch zu beachten: Wenn der Anfang der zweiten Windung auf dem Anfang der ersten Windung aufliegt ist die erste Windung
quasi inaktiv. Dann wie unten zu sehen 2 Windungen abziehen!
Berechnung der „progressiven“ Honda Gabelfeder
5 Federrechner meine Feder.jpg
Watt issn dat? Schubmodul
Das Schubmodul G habe ich mit 80.000 N/mm² eingetragen. Ich hatte die Schubmodule mehrerer Federstähle, die für Spiralfedern im Fahrwerksbau
geeignet sind verglichen und sie lagen alle zwischen 78.000 und 83.000 N/mm²
BEISPIEL:
DIN-Bezeichnung: DH / enthalten in DIN: 17223-1 / Enthalten in DIN-EN: EN 10270-1 DH / Bezeichnung:
Federstahl-Draht / G-Modul: 81.500 / Anwendung: für statisch und dynamisch belastete Federn.
(Andere Angaben siehe Excel-Tabelle)
Wenn ihr das Schubmodul mit 80.000 eintragt liegt ihr schon ganz gut.
ERGEBNIS:
Jetzt
weiß ich das meine Feder im weichen Teil eine Federrate von ca. 6,8
N/mm hat und im harten Federteil eine Federrate von
12,2 N/mm. Der Umschaltpunkt liegt bei 85mm abzüglich des Negativfederwegs.
(Die 12,2 N/mm bestätigen mir ganz klar das was mir an der Honda auch aufgefallen ist: Die zweite Federrate ist ganz klar zu hart. Sie liegt schon
fast auf Sportfahrwerksniveau und ist für mein niedriges Gewicht definitiv zu hart!)
WICHTIG: Natürlich könnt ihr mit dem Rechner auch die Federrate einer linear arbeitenden Feder berechnen!
Ihr müsst nur die zwei Werte 1. w = Windungszahl eng und 2. e = Windungsabstand auf 0 setzen!
Ich habe die zwei linearen YSS Federn, die ich mir neu für'n Appel und nen Ei besorgt habe, vermessen und dann berechnet.
Die errechnete Federrate entsprach mit 7,1 bzw. 7,7 N/mm fast genau den Angaben auf dem Kartonaufkleber!
Hier die beiden Berechnungen
Die gekauften Federn
Und weiter geht’s
Jetzt habe ich die Federdaten der „progressiven“ Originalfeder sowie die Daten der linearen YSS-Federn. Um deren Unterschiede
sichtbar zu machen habe ich mir eine Exceltabelle gebastelt mit der ich die Federraten anschaulich darstellen kann.
So sieht das ganze aus
8 Original und YSS 7,0 - 7,5 Nmm.jpg
Der
Unterschied zwischen der „progressiven“ Originalfeder und den
linearen YSS-Federn sieht auf den ersten Blick recht harmlos aus,
aber das täuscht!
Der Anstieg der Federrate ab dem Knickpunkt bei der „progressiven“ Feder von 6,8 auf 12,2 N/mm also von 5,4 N/mm ist nicht ohne. Die Feder verhärtet
stark und das ist besonders bei einer Vollbremsung auf unebener Fahrbahn deutlich zu spüren. Vom Durchschlagen ist sie noch weit entfernt! Was
bedeutet die Feder darf ruhig etwas weicher sein.
Jetzt ist ja die Feder allein nicht für die Gesamtrückstellkraft, egal ob eine lineare oder „progressive“ Feder verbaut ist, verantwortlich!
Hinzu kommt noch die nicht zu unterschätzende „echt progressive“ Luftfederkraft. Sie ist abhängig von der Höhe des Luftpolsters oberhalb vom Gabelöl.
Die Gesamtrückstellkraft die dann bei starkem Einfedern auf ca. dem letzten Drittel in halbwegs progressiv wirkt ist nicht zu unterschätzen.
Mit dem variieren des Luftpolsters in gewissem Rahmen kann man gerade im letzten Drittel des Federwegs die Progression der Gabel noch beeinflussen.
Das folgende Diagramm dient nur zur Veranschaulichung der Gesamtrückstellkraft!
Die Verhältnisse passen nicht ganz da ich nach der malen nach Zahlen Methode vorgegangen bin (ging schneller)
Eine Sache muss ich noch erwähnen:
Ich werde noch ein sogenanntes Gabelventil von YSS Typ: PD-335d verbauen. Warum das? Nun, die Standardgabeln unserer Honda sowie
der BMW haben fest definierte Bohrungen durch die das Öl beim Ein und Ausfedern gepresst wird.
Die dadurch entstehende Dämpfung der Zug und Druckstufe ist bei diesen Gabeln immer ein Kompromiss. Sobald höhere Eintauchgeschwindigkeiten,
z.B. beim Überfahren von einer Bordsteinkante entstehen gibt es einen Schlag im Lenker da das Öl nicht schnell genug durch die dafür vorgesehenen
Löcher strömen kann.
Dünneres Öl ist auch nicht immer die Lösung da dann Druck und Zugstufe schnell unterdämpft sind und sich das Moped schneller aufschaukeln kann
bzw. das Rad auf z.B. Kopfsteinpflaster im ungünstigsten Fall an zu springen fängt.
Flüssigkeiten haben die ungute Eigenschaft wenn sie durch ein Loch gepresst werden das sich der Strömungswiderstand progressiv mit der
Flussgeschwindigkeit, in unserem Fall der Einfedergeschwindigkeit, erhöht.
Das Gabelventil ist eigentlich nichts anderes als ein Überdruckventil. Sobald die Strömungsgeschwindigkeit bzw. der Öldruck der Druckstufe einen
bestimmten Wert überschreitet öffnet sich ein federbelasteter Ventilteller und das Öl kann schneller Strömen. (Größerer Volumenstrom bei gleichem Druck.)
Einfach gesagt, die Gabel kann bei starken Schlägen schneller Einfedern.
Die Zugstufe funktioniert nach dem gleichen Prinzip. Das zurückströmende Öl fließt auch zum größten Teil durch einen Ventilteller dessen Feder allerdings
nicht verstellt werden kann. That's all.
Hier
ein paar aussagekräftige Grafiken zum Thema Gabelventil welche die
Wirkungsweise verständlich machen.
Bei
Interesse kann ich euch den oben genannten Rechner sprich die
Exceltabelle sowie die Exceltabelle zur Erstellung des Diagramms
zur Verfügung stellen.
Es gäbe noch einiges zu diesem komplexen Thema zu sagen, aber die 10k Zeichen sind fast erreicht.
So, jetzt ist erst einmal Schluss, bei Interesse kommt eventuell Nachschlag. Keine 20 Uhr und schon so müde
Gruß aus Lemgo, Thomas