Heiss und trocken

Im Gegensatz zum K-espann, das es ja warm und trocken liebt in der neuen Garage, leide ich gerade fuerchterlich vor mich hin. Ich sitze im Buero bei gefuehlten 45 Grad und langweile mich. Die vorhandene Kliimaanlage darf nicht eingeschaltet werden, da einige meiner Bueromitbewohner befuerchten, sie koennten sich dann erkaelten. Und das mir, der jedes Grad ueber 25 abgrundtief hasst. Ich denke, ich verziehe mich gleich mit dem Rechner in unseren Sozialraum, da laeuft die Klimaanlage, da kann man es aushalten.


Hier jetzt mal ganz kurz (hoffentlich) meine Geschichte, warum ich ueberhaupt in Kharkiv lebe und arbeite, und einige Basisinformationen ueber Kharkiv.


Der eine oder andere mag sich ja noch daran erinnern, dass ich Polizeibeamter beim Bundeskriminalamt war, als ich der Flyingbrick Community nach dem Kauf des K-espanns im September 2004 beigetreten bin. Ich war danach zweimal als Polizeibeamter fuer jeweils ein Jahr im Ausland, einmal bei der United Nations Interim Mission in Kosovo (UNMIK - 2005/2006) und einmal bei der European Union Monitoring Mission in Georgia (EUMM Georgia - 2009/2010). Nach meiner Rueckkehr aus Georgien habe ich beim Bundeskriminalamt gekuendigt (Anmerkung: Rein technisch gesehen ist das falsch, da man als Beamter nicht kuendigen kann, sondern nur um seine Entlassung aus dem Beamtenverhaeltnis bitten kann. Da ich aber beim BKA niemanden um irgendwas bitten wollte, habe ich schlichtweg gekuendigt) und weitere drei Jahre als Freiberufler fuer die EUMM in Georgien gearbeitet.


2012 habe ich mich dann beim Zentrum fuer Internationale Friedenseinsaetze in Berlin (eine gemeinnuetzige GmbH, die zu 100% dem Auswaertigen Amt gehoert) um die Aufnahme in den so genannten Expertenpool fuer Auslandseinsaetze beworden und bin nach entsprechendem Training und einem Interview auch aufgenommen worden.


Im Februar 2013 habe ich dann die Stelle gewechselt und war die naechsten zwei Jahre und vier Monate bei der European Union Police Mission Afghanistan (EUPOL Afghanistan) in Kabul, sekundiert und finanziert vom Auswaertigen Amt, aber immer noch als Freiberufler.


Nachdem sich die Interessen der deutschen Aussenpolitik von Afghanistan in die Ukraine verlagert haben, habe ich im Juni 2015 bei der Special Monitoring Mission der Organisation for Security and Cooperation in Europe (OSCE SMM Ukraine) angefangen, wiederum sekundiert und finanziert vom Auswaertigen Amt. Nachdem ich die naechsten zwei Jahre und drei Monate im Konfliktgebiet in der Ostukraine taetig war - und zwar sowohl auf regierungskontrollierten Gebiet (12 Monate) als auch auf dem Gebiet der sogenannten "Volksrepublik Luhansk" (15 Monate) - bin ich seit September 2017 nun im OSCE SMM Monitoring Team in Kharkiv. Das liegt ausserhalb des eigentlichen Konfliktgebiets und ist um einiges sicherer als die Arbeit an der so genannten Kontaktlinie.


Im April diesen Jahres hat sich mein beruflicher Sstatus geaendert, nachdem das Sekundierungsgesetz im Juli 2017 reformiert wurde. Seit dem 1. April 2018 habe ich nun einen auf ein Jahr begrenzten Arbeitsvertrag mit dem Zentrum fuer Internationale Friedenseinsaetze.


Ueber dienstliche Belange und auch uber die politische Lage in der Ukraine darf ich nicht schreiben, das ist Bestandteil meines Arbeitsvertrages. Allerdings darf ich ueber mein Privatleben schreiben, das ich natuerlich auch hier in der Ukraine habe.


Damit Ihr auch eine Vorstellung habt, wie es in der Ostukraine aussieht, hier ein Foto, das ich letztes Jahr um diese Zeit dort aufgenommen habe. Das Foto entstand in Popasna. Ungefaehr vier Kilometer von dieser Stelle entfernt verlaeuft die Kontaktlinie zwischen regierungskontrolliertem Gebiet und der so genannten "Volksrepublik Luhansk". In diesem Bereich finden regelmaessig Kampfhandlungen statt. Insgesamt sind seit dem Ausbruch des Konflikts im Fruehjahr 2014 nach UN Angaben mehr als 10.000 Menschen ums Leben gekommen.
20180725_Sunset_Popasna.jpg
Mit meiner Versetzung nach Kharkiv haben sich mein Lebensstandard und meine persoenliche Sicherheit deutlich verbessert. Kharkiv ist nach Kiew mit knapp 1,5 Mio Einwohnern die zweitgroesste Stadt in der Ukraine. Die vorwiegend gesprochene Sprache ist Russisch, auch wenn Ukrainisch die amtliche Landessprache ist. Fuer die, die es nicht wissen - es gibt deutliche Unterschiede zwischen der russsischen und der ukrainischen Sprache, aehnlich wie deutsch und niederlaendisch. Auch weist das kyrillische Alphabet der ukrainischen Sprache Unterschiede zum kyrillischen Alphabet der russischen Sprache auf, wenn diese auch nur geringfuegig sind.


Kharkiv ist eines der intellektuellen Zentren der Ukraine. Es gibt hier mehrere Universitaeten. Darueber hinaus ist Kharkiv durch die vielen auslaendischen Studenten sowohl multikulturell als auch multinational. Obwohl ein Grossteil der frueheren Industrie in Kharkiv inzwischen gestorben ist, ist Kharkiv immer noch eine der bedeutendsten Industriestaedte in der Ukraine.


Das soziale Leben in Kharkiv ist durchaus beachtenswert. Es gibt eine Vielzahl von kleinen Musikclubs, die speziell an den Wochenende sehr viele Live Konzerte kleiner einheimischer Bands anbieten. Dabei ist die Qualitaet der Musik durchaus hoerenswert, da es in Kharkiv auch eine Musik Fakultaet gibt. Ich habe inzwischen Bekanntschaft mit mehreren Clubmanagern und Musikern gemacht, da ich am Wochenende gerne auf Konzerten fotografiere und die Bilder dann sowohl mit den Musikern als auch den Clubmanagern teile. Die Rechte am Bild bleiben bei mir, die Musiker und Manager koennen sie allerdings kostenlos und uneingeschraenkt nutzen.


Dieses Foto vom Fluss Kharkiv, der durch die gleichnamige Stadt fliesst, habe ich letzten Freitag vor einem Konzert aufgenommen, da mich die Spiegelung des Graffiti im Wasser des Flusses fasziniert hat.
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Naechstes Wochenende werde ich zum Fotografieren eines der vielen alten und teilweise verfallenen Gebaeude besuchen. Mal schauen, ob ich es legal betreten kann, um mich dann mal in der sogenannten Lost Places Fotografie zu versuchen. Das wird bestimmt interessant und ist absolutes Neuland fuer mich.


OK - das soll jetzt erst einmal reichen.


Wenn Ihr gzielte Fragen zu Kharkiv, zum Leben in Kharkiv oder dergleichen habt, schreibt sie einfach in die Kommentare. Ich werde sie dann entweder dort beantworten oder zum Thema eines neuen Artikels machen.


Gruss aus Kharkiv

Kommentare 4

  • Hallo,


    interessanter Lebenslauf und sehr informativer Text ueber die Situation in der Ukraine.


    Allzeit gute Fahrt



    Blue skies


    Stephan

  • Toll geschrieben, tolle Bilder! Gibt es in Kharkiv auch eine Motorradszene?

    • Ja, die gibt es. Da werde ich demnächst was drüber schreiben. Allerdings habe ich (noch) keinen Kontakt. Kommt aber noch :)

  • Respekt!!! Vielen Dank für Deine Ausführungen.