Die erste Motorradtour - Sharivka Castle

Mittlerweile ist das K-espann seit drei Wochen hier bei mir in Kharkiv und bis auf ein paar Stadtfahrten habe ich noch nichts unternommen. Die bei Jürgen (Till) bestellten Ersatzteile für die Hinterradbremse sind inzwischen beim ukrainischen Zoll irgenwo in der Westukraine; reparieren ist also auch noch nicht angesagt. Also beschliesse ich, einfach eine kleine Tour zum Schloss Schariwka zu unternehmen, von dem mir eine Kollegin erzählt hat. Das ist ein halbverfallenes Schloss, das Anfang des 19. Jahrhunderts gebaut und im Jahr 1881 von dem deutschen Zuckerbaron Leopold König erworben wurde. Inzwischen befindet es sich im fortgeschrittenen Stadium des Verfalls, soll allerdings wieder aufgebaut werden.


Irgendwie habe ich überhaupt keine Lust mein klimatisiertes Apartment zu verlassen, als ich gegen 8 Uhr einen Blick auf das Außenthermometer werfe. 28° - Tendenz steigend. Troztdem raffe ich mich auf, sammel mein Fotogerödel zusammen - gut 15kg verteilt auf einen Rucksack mit Kamera und meinen meist gebrauchten Objektiven, einer Umhängetasche mit Filtern und dem schweren Teleobjektiv, und dem Stativ - und marschiere die 200m zu meiner Garage. Obwohl ich mich in Anbetracht der Temperaturen dazu entschieden habe kurzärmelig zu fahren, bin ich schon naßgeschwitzt, als ich dort ankomme.


Die Fotoausrüstung packe ich in den Seitenwagen, der Kofferraum des Seitenwagens ist nahezu voll mit Werkzeug, Benzinkanister, Öl, Regenklamotten - also das übliche Allerlei, was man halt so dabei hat.


Um 10.15 Uhr fahre ich los und bin schon nach 20 Minuten aus Kharkiv raus. Samstagmorgens ist hier kaum Verkehr und ich komme gut voran, obwohl ich die halbe Stadt mit ihren 1,5 Millionen Einwohnern durchqueren muss. Jetzt noch knapp 10 Minuten, um den dicht besiedelten Gürtel um Kharkiv zu durchqueren und dann habe ich die Zivilisation hinter mir gelassen. Ich halte an der ersten Tankstelle hinter dem Ballungsraum an und tanke erstmal voll.


Normalerweise wird in der Ukraine mit Bedienung getankt, allerdings ist nur ein Tankwart im Dienst und der ist mit anderen Dingen beschäftigt, also tanke ich selber. Da hätte ich mal besser drauf verzichtet - ich führe den Tankrüssel gerade ein und drücke zu früh den Hebel. Und schon bin ich frisch mit 95 Oktan Sprit geduscht. Und nicht nur ich, auch das K-espann und mein Helm, der auf der Seitenwagenabdeckung liegt.


Aber von solchen Kleinigkeiten lässt sich der echte K-espannfahrer ja nicht abschrecken. Ich wollte sowieso ein große Flasche Wasser kaufen, jetzt kaufe ich zwei - ein mit Kohlensäure zum Trinken und eine ohne zum Waschen. Das kalte Wasser im Gesicht tut richtig gut und nach der Waschung und einer Zigarette geht es weiter.


Den ersten Teil der Strecke kenne ich. Das ist die M03 Richtung Westen, die bin ich schon tausendmal gefahren in den letzten Monaten, aber nach knapp 30 Kilometern geht es rechts ab in die Walachei, auf einer mir unbekannten Nebenstrasse. Allerdings habe ich Glück, diese Strasse ist in relativ gutem Zustand und erlaubt es mir mit 60 - 70km/h dahin zu gleiten. Ich muss zwar einige Male drastisch abbremsen, wenn die Straße mal vorübergehend schlechter wird und mit Schlaglöchern übersät ist - aber das kenne ich ja schon von meinen Fahrten mit dem Dienstwagen.


Um 12 Uhr erreiche ich den Abzweig nach Schariwka und mache hier eine kurze Fotopause. Noch 2 Kilometer über eine deutlich schlechtere Nebenstraße und ich bin am Schloß angekommen.


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Ich bin überrascht, wieviele Fahrzeuge auf dem Parkplatz vor dem Schloßgelände parken, unter anderem zwei Hochzeitsgesellschaften, die die Kulisse des Schlosses für Hochzeitsfotos nutzen. Meinen ersten Eindruck vom Schloss, beziehungsweise vom Eingang des Schlosses, halte ich mit einem Handyfoto fest. Das sieht schon mal sehr vielversprechend aus.


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Bevor ich den Schlosspark betrete, gönne ich mir erst mal einen Kaffee und einen halben Liter eiskalten Kwas (Brottrunk), ein in allen Teilen der ehemaligen Sowjetunion beliebtes Getränk aus Wasser und Brot. Hausgemacht und kalt schmeckt er mir hervorragend und löscht sehr gut den Durst, ohne zu süß zu sein,


Anschließend packe ich meine 15kg Fotoausrüstung, zahle 25 UAH (ca. 0,85 €) Eintritt und fange an zu fotografieren. Zuerst mal von außen. Während der Hauptteil des Schlosses von außen recht gut aussieht - zumindest so lange, wie man nicht näher ran geht - ist speziell der Ostflügel mit seiner Holzkonstruktion und seinen großen Fensterflächen in einem bedauernswerten Zustand. Wenn ich mich richtig an die Beschreibung des Schlosses erinnere, die ich im Internet gelesen habe, hat Leopold König hier für seine Frau ein riesiges Gewächshaus gebaut.


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Geht man allerdings näher an das Gebäude heran, sieht man überall die Zeichen des fortgeschrittenen Verfalls.


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Auch im Innern des Schlosses sieht es nicht viel besser aus. Das muss in den guten Tagen des Schlosses wirklich beeindruckend gewesen sein, jetzt entwickelt es den typischen Lost Places Charme, den Fotografen so lieben.


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Nach drei Stunden reicht es mir. Ich bin wieder naßgeschwitzt und der für mich interessanteste Teil - das riesige Gewächshaus im Ostflügel - ist nicht für den Publikumsverkehr zugängig. Nur dort wären die Lichtverhältnisse gut genug, um eine Portraitserie mit einer Kollegin zu fotografieren, die anderen Räume sind ohne zusätzliche Beleuchtung zu dunkel. Die Innenraumfotos habe alle mit Stativ und Langzeitbelichtung mit bis zu 30 Sekunden Belichtungszeit geschossen. Das ist bei Portraits nicht machbar.


Gegen 15 Uhr verlasse ich das Schloss und mache mich auf den Rückweg, allerdings nicht ohne vorher noch zwei halbe Liter eiskalten Kwas zu trinken. Lecker!


Notiz an mich selbst: Du Trottel - zuviel Kwas verursacht eine verstärkte Darmtätigkeit - das weisst Du doch (Anmerkung: Das ist der Grund, warum ich jetzt nachts um 4 Uhr am Computer sitze, Bilder bearbeite und diesen Blogartikel schreibe :banghead:


Für den Rückweg nutze ich eine andere Straße, was sich als großer Fehler herausstellt. 20km Schlaglochpiste, auf der ich mit 20-30km/h unterwegs bin, bevor ich wieder auf eine gut befahrbare Hauptstrecke komme und dann relativ zügig zurück nach Kharkiv fahre. Nach einem kurzen Essensstop in einem Musikclub am Fluß Kharkiv, in dem ich regelmäßig die Konzerte von Livebands fotografiere, kehre ich in mein Apartment zurück.


Insgesamt eine schöne Tour, mit einigen wirklich schönen Fotos. Ich denke, das war nicht mein letzter Besuch im Schloss Schariwka, allerdings beim nächsten Mal mit deutlich weniger Ausrüstung.

Kommentare 2

  • Habedere Franklin,
    reg` Dich bloß nicht über die paar Grade Außentemperatur auf. Zur Zeit hat`s bei uns in der Wohnung selbst abends nach 10 und trotz vorhergehender kompletter Verdunkelung über Tag immer noch mehr als 28°.

    • Ich bin heilfroh, dass ich mein Apartment vor dem Schlafen mit Klimaanlage runterkühlen kann. Letztes Jahr war ich noch in der Ostukraine, da hatten wir einen Außenposten mit 33 Grad im Schlafzimmer. Das war die Hölle.